Mittwoch, 23. September 2009

Urlaub bei den Kreationisten






Wieder einmal hatten wir mächtig Glück. Leo wollte Saisonsarbeit in Angriff nehmen und auch ich habe wirklich nichts gegen den Ausbau meiner Reisekasse. So rief ich herum, es gibt eine Telefonnummer für Leute, die pflücken wollen. Von dort wurden wir nach Bundaberg geschickt, vier Stunden nördlich von Brisbane an der Küste gelegen. Nach Brisbane wurden wir von Injune mit Freunden unserer Farmer chauffiert, die in Brisbane leben. Ich war recht begeistert, mal wieder in eine Stadt zu kommen. Brisbane ist gut zu Fuss zu erkunden, hat ein vielseitiges Wissenschaftsmuseum mit Naturkundeteil und einem spielerischen Erkundungsteil, in dem Leo die Schwerkraft zu bezwingen schien, Hebel kennenlernte, Blitze erzeugte; gegen Weltklasseläufer rannte und Foucaults Pendel anschaute. Opshopwandern, ein Mittagessen bei den vegetarischen Hare Krishnas, Buchläden, neu und alt, Kunst geguckt und ein Zeichenbuch gekauft und am nächsten Tag ein Ausflug zum Koalaschutzzentrum und ich war glücklich, mal wieder in der Stadt gewesen zu sein. Die Koalas waren wirklch zu knuffig und Streichelkänguruhs haben mich in ein vor Freude hüpfendes Mädelchen verwandelt: sind die süüüüüüüss! Und natürlich erfuhr ich, dass es nicht gerechtfertigt ist, die Känguruhs zu erschiessen. Sie haben lange keine Pestanzahl und waren lange vor den Rinderbauern da.

Leo hatte so gar keine Lust mehr auf Brisbane und ich war zufrieden mit dem Zug nach Bundaberg zu fahren, nachdem sich eine Mitfahrgelegenheit nicht gemeldet hatte. 33 Dollar kostet das Zugfahren und man fühlt sich wie im Flieger mit Sicherheitsinstruktionen, Film, Klimaanlage und Dämchen, die einem Wasser und Snacks vorbeibringen. Billiger können wir nur mit unseren ergaunerten Auto- und Lkwfahrten reisen.

In Bundaberg wie zuvor in Brisbane hatte niemand eine Couch für uns frei, so dass wir sofort die Hostels abklapperten. Neunzig Prozent aller Rucksacktouristen, heisst es, seien Arbeiter und die Hostels organisieren Arbeit. Leider war da aber weder Arbeit noch ein Doppelzimmer und wir telefonierten mit Leuten aus unserem Wwoofbuch. Auch die waren voll. In einem Hostel fand ich ein altes Wwoofbuch mit der Nummer von Rolf und Robyn Vollmer, bei denen wir nun schon fast drei Wochen logieren, Unkraut jäten, Bananen düngen, kochen und herrlich leben. Heute legten wir einen Kräutergarten an, was bei aller Arbeit eine sehr befriedigende Erfahrung war. Es ist wie ein Urlaub von der Reise in einem kleinen Paradiesgarten, naja, 340 acres, nicht ganz so klein... Ich habe meine alte Leidenschaft fürs Bleistiftzeichnen ausgegraben und bin damit mächtig beschäftigt. Ich mache täglich Fortschritte und merke, dass es wirklich vor allem an der Übung liegt und nicht am Talent. Robyn und Rolf sind sehr nett. Sie ist 65, er ist 71 und sie sind streng gläubig. So streng, dass wir nicht in einem Zimmer schlafen dürfen, was für mich den entschiedenen Vorteil hat, dass ich die Nächte unbeschnarcht durchschlafen kann. Sie sind Kreationisten, glauben, dass Homosexualität eine heilbare Krankheit ist und reden viel vom Herrn. Nach einmaligem Kirchen- und Bibelkreisbesuch wars mir genug. Das Gute ist, dass sie uns in Frieden lassen. Das Anwesen ist herrlich, sie essen wunderbar vegetarisch mit Bio- Passionsfrüchten, -Bananen, -Erdbeeren, -Orangen, die ich täglich im Dutzend zu unserem Genuss presse, wilden Tomaten und anderen Gemüsen. Es werden Pläne für ein vegetarisches Restaurant mit Unterkunft auf dem Anwesen mit Leo geschmiedet. Wie immer will ich das erst mal sehen. Leo malt Holz bunt an, ich zeichne und lese in der freien Zeit. Toll sind die vielen Tiere hier: Acht leider nicht reitbare Pferde springen übers Anwesen, viele Hühner legen viele Eier und ich kümmere mich um die drei ganz kleinen Hühnchen. Zum Laufen habe ich die Begleitung der Hündin Pearly, die mich mächtig motiviert, wenn sie durchs Gebüsch springt oder Wassertropfen im Teich fängt. Die Truthähne krähen mich in der Früh um sechs wach, die Cane Toads quaken des Nächtens und die grünen, rotäugigen Frösche besuchen uns am Abend. Grosse, wirklich grosse Echsen sausen herum, richtig grosse Grashüpfer hüpfen dazwischen. Und dann ist da noch das Schaf und die Ziege, die ihr Gnadengras zu pflücken scheinen.

Meine Karriere als Zucchinipflücker endete so schnell ich sie begann: ein Tag und gut wars. Die Nummer des dubiosen Clans fand ich an einem Anschlagbrett in Bundaberg auf dem Campingplatz: Pickers wanted. Call Dan. Angerufen, für den nächsten Tag in der Früh um dreiviertel sechs ausgemacht. Erst wartete ich zwei Stunden, um zu meinem Arbeitsplatz zu kommen. Das Feld war aber schon geerntet und wir machten uns zu einem anderen auf. Das schien allerdings auch schon abgeerntet zu sein. Das hat unseren bulgarischen Supervisor wenig irritiert. So schnitt ich in zwei Stunden dreieinhalb Eimer Zucchini, nicht zu gross und nicht zu klein, nicht zu gebogen, nicht weich und nicht schrumpelig und bitte ordentlich eingeschlichtet. Nicht schlecht. Ein Eimer trägt mir zwei Dollar fünfzig ein, fünf Dollar wollten sie mir für den Transport berechnen. So habe ich im Schweisse meines Angesichts zwei Dollar fünfzig verdient, die ich, so ich sie auf wundersame Weise jemals erhalten sollte, in einen halben Becher Joghurt bei Aldi umsetzen könnte. Um mich her wurlten zehn Asiaten mit schockierendem Englisch, vermummt, dass man eher an eine Terrorattacke denn an Gemüseernte dachte. Der junge Brite, an den ich mich hielt, schaute nur recht ratlos. Ausserdem habe ich gelernt, dass mein Cowboyhut und lange Ärmel ein guter Anfang sind, dass lange Hosen oder Kniestrümpfe der Sache aber die Krone aufsetzen würden, da ich dann keine schrecklich verkratzten Beine hätte.

Wir wollen immer noch ein wenig weiter in den Norden und bewerben uns online für Jobs und rufen neue Wwoof Gastgeber an. Eigentlich ist es doch sehr schön, wo wir gerade sind und wir sind gar nicht so wahnsinnig motiviert, wieder weiterzuziehen- heute hier, morgen dort. Ansonsten hat mich die „travel bug“ weiter fest im Griff. Da gibt es noch Kanada und Afrika und Südamerika und die Nudistencamps in Australien...Ich bin recht zufrieden mit meiner Reiserei und vermisse wenig. Laufen, lesen, reden, lieben, zeichnen, schreiben. Ein guter Freund wär gut. Ein Spieleabend. Eine gute, fachliche Diskussion. Mehr klassische Musik. Aber dann guck ich wieder in die Bananenstauden, die drei kleinen Küken zwitschern neben mir. Und irgendwie bin ich glücklich.