Samstag, 31. Oktober 2009

Eine Woche Leben als Sklave






Nun haben sich die Dinge doch entwickelt. Zweimal sass ich in der Früh um sechs vor dem zwei Kilometer entfernten Tomatenfeld, bewunderte die Vögel (Kookuburra, Fantails und bunte Lorrikeets), las meine Russellbiographie und schrieb mein Tagebuch, aber keine Pflücker weit und breit. Am dritten Tag rückten sie dann an und ich wurde vom Türken Mehmet zum Erscheinen am Tag darauf befohlen- you come tumurra, you work. Wie später üblich schreiend, im Befehlston. Seine Frau teilt sich mit ihm den Schreiposten und man hört durch die Walkietalkies, die sie tragen ständig den jeweils anderen auf türkisch schreien, was zu gleichen Reaktionen und unwirscher Mine führt. Ich habe beschlossen, das lustig zu finden, ich glaube, die Herrschaften sind hart, aber gerecht. Hart ist der Job vor allem für den Rücken. Normalerweise geht’s um fünf in der Früh los, was mich nicht weiter stört, bin ich doch eh immer früh auf. Dann wird höchstens bis neun gepflückt. Jeder Eimer wird mit einem Dollar fünfzig nach der Steuer satt belohnt und ich komme im Schnitt auf fünfzehn Dollar am Tag. Würde ich nicht nur das Reifenprofil des geliehenen Fahrrads abfahren, wärs das Ganze freilich nicht wert. Zumal danach mein Rücken schmerzt und ich mir doch recht sicher bin, dass das der unangenehmste Job und am schlechtesten bezahlte Job ist, den ich je hatte. Da kommt kein Fliessband und keine Wäscherei ran und ganz sicher nicht die Müllhalde oder gar die Äpfel beim netten Peter in Neuseeland. Zudem gibt es auch noch Untersklaventreiber, die einem nachrennen, wenn man eine Tomate nicht pflückt oder zuviel grün oder rot im zirka zwanzig Kilo schweren Eimer hat. Den schleift man vor oder hinter sich her, die Reihen entlang, in gebückter Haltung und streift mit der anderen Hand Blätter zur Seite auf der Suche nach Tomaten. Die perfiden Dinger sind meist unter anderen grünen Tomaten und reifen nicht an der Sonne, sondern gut eingehüllt, was oft zu Pfrimeleien führt. Die Tomaten sind fast alle am Boden, so dass man sich komplett vornüber beugt. Rote Tomaten sind tabu, man pflückt nur grünes Zeug mit einem winzigen Farbansatz. Viel Gift aussenrum, die Haut juckt ein wenig durch die Handschuhe. Einen Tag pflückten wir Zucchini, die verkratzen einen auch noch am Handgelenk und meine Chefin meinte, ich hätte keine Augen im Kopf und die Brille sei wohl nutzlos, da ich ein paar Zucchini zu Beginn übersah. Meine Mitpflücker sind fast alle Asiaten, die wenig zu einem Plausch oder einem Morgengruss aufgelegt sind. Sie mögen etwas schneller sein als ich, aber richtig Geld machen können sie auch nicht, müssen sie doch Essen und Unterkunft auf dem Zeltplatz zahlen. You can earn good money, schreien die türkischen Treiber aber trotzdem als eine Art Mantra. Wenig glücklich fand ich die Entscheidung, ihren Sohn heute mit aufs Feld zu bringen und ihm die Sklaventreibermethoden beizubringen. Sie mögen ja glauben, dass man die Asiaten derart antreiben muss, für einen zehnjährigen Buben vermittelt das aber doch einen sehr schrägen Eindruck. Ich Chef, also Du nix. So geht man nicht mit Menschen um. Sein Versuch, mir mit einer übersehenen Tomate seine Überlegenheit zu demonstrieren, scheiterte ein bisschen daran, dass ich seine „girl,girl!“ Rufe ignorierte. Meine Chefin drohte wie üblich mit dem Boss- if you do miss tomato and big boss see, you out! Mit big boss hatte ich ein munteres Schwätzchen, als ich ihn zufällig auf dem Feld traf, er fand das sehr amüsant. All dies gibt Anlass zu allerhand netten Autoritätsstudien. Gottlob bin ich auf Derartiges nicht angewiesen. Aber ich fand es sehr spannend, einmal im wahrsten Sinne ganz unten zu werkeln. Ich hoffe, meine paar Dollar werden mir überwiesen. Den Job verbuche ich in jedem Fall unter drastische Erfahrung. Wie fühlt man sich, wenn man nicht als Mensch, sondern nur als Pflücknummer behandelt wird? Das ist das Aufregende am Reisen- jeden Tag ein bisschen wie eine neue Identität, wenn ich das will.

Eine Woche Tomaten und Zucchini ist jedenfalls genug für meinen Stoff zum Nachdenken und auch für mehr als die Fahrt nach Noosa. Zudem bin ich nach dem Job sehr motiviert, mich um andere Dinge zu kümmern, wie z.B. meine journalistischen Artikel und neue wilde Ideen. Am Donnerstag reise ich ab und werde nicht von meinem wilden Yogakommunenmann, sondern von der 68-jährigen Holländerin Anne vom Zug abgeholt. Sie hat Pferde und mag Gesellschaft. In der Nähe, erreichbar mit dem Bus, ist der Noosastrand zum Surfen und auch der berühmte, wohl riesige Markt von Eumundi. Dort gibt es auch Kunstgalerien. Am 16. November bin ich bei David und Sue. Er ist Lehrer für Englisch und wissenschaftlicher Berater (was auch immer das genau heisst finde ich raus), sie Romanautorin und Lehrer für kreatives Schreiben. Eine faszinierende Mischung, zudem scheinen sie sehr nett, geradlinig und vermutlich sehr zuverlässig. Ich freue mich sehr auf sie, habe ich doch schon als wir in Brisbane waren, versucht zu ihnen zu kommen.
Was Leo macht, ist mir nicht ganz klar, ich vermute, er wird weiter arbeiten. Ich werde sehen. Manchmal denke ich, es war sowas wie meine Aufgabe, ihm ein wenig zu helfen, ihn zu unterstützen, ihm Kraft, Motivation und Zuversicht zu geben. Nun ist er ganz selbständig zu seiner Arbeit aufgebrochen und muss sich ein wenig allein weiter durchbeissen.

Da gäbs dann auch noch Colin, der auf einem Boot lebt und Häuser anstreicht. Er nimmt Wwoofer und lässt sie gar streichen, womit er sein Geld verdient und der Wwoofer dann auch. Das wäre gar nicht dumm, allerdings ist er drei Stunden südlich von Sydney in Yass und damit sehr weit von mir entfernt.

Robyn betet hier für Regen. Im Kalender haben wir gesehen, dass es volle fünf Monate nicht geregnet hat und die Mango und Zitrusbäume werfen die Früchte ab und lassen die Blätter hängen. Traurig ist das und ich hoffe sehr, dass es bald regnet. Dieses Klima hier ist doch ganz bedeutend anders als das von mir gewohnte in Regensburg. Trockenheit und Hitze- das habe ich mit Australien verbunden, es aber nur partiell angetroffen. Bis jetzt...

Meine Finanzsituation sehe ich unter dem sportlichen Aspekt: ein bisschen was einheimsen, fast nichts ausgeben. Ich organisiere viel und bin damit auch zufrieden. Mir fehlt es an nichts. Da ist Bildung durch die Menschen, die Natur und die Büchereibücher. Und da ist feinstes Essen beim Wwoofen und ein kuschliges Bett. Von meinen 2500 Noccundradollars sind mir noch 1200 geblieben, das ist doch schon mal was. Ich bin sicher, dass ich mittlerweile exzellent wirtschaften kann. Ich male mir ein T-Shirt mit „Job wanted“ und gucke, wie die Leute reagieren und ich werde mich in die Strasse stellen und testen, wie es sich anfühlt, Teil der „free hugs“ Leute zu sein. Kostenlose Umarmungen auf der Strasse anzubieten fordert meinen Mut. Könnte ein echtes Erlebnis werden, sicher der ungefährlichen Art, aber doch sozial exponiert und daher jenseits der Komfortzone.

Rolf hätte mich sicher gern noch ein Weilchen behalten. Da Robyn als Krankenschwester meist arbeitet, ist er hier viel allein und hat sich so an meine Gesellschaft gewöhnt, dass er schon meinte, man könnte mich vielleicht als weitere Tochter aufnehmen, wie das schon mit anderen Wwoofern geschehen sei. Sehr lieb, wirklich, ich fühle mich hier recht behaglich und daheim, auch wenn wir in einigem, vor allem den Glaubensdingen, nicht ganz einer Meinung sind. Robyn ist sehr liebenswert mit ihrer speziellen Art mit Tieren. Sie fing einen Chickenhawk mit blossen Händen und scheint mir so etwas wie ein Pferdeflüsterer. Sie scheint die Tiere zu verstehen. Sie ist geradlinig, burschikos und auch spitzbübisch. Ich mag sie sehr. Und ich verlasse Barbara, meine Kunstlehrerin. Und mit ihr die Schüler Ron, der seinen Parkinson mit Malen in Griff bekam und Allan, der immer scherzt, ich sei zu gut und er frustriert ob meienr Anwesenheit. Da war ich doch bei einigen Malstunden. Das letzte Mal wollte sie mich davon abhalten, ein Rembrandtselbstporträt abzuzeichnen, da es ihr zu düster schien. Sie meinte, ich wolle doch wohl Kunstwerke produzieren, die die Menschen segnen und nichts so dunkles. Äh, nein. Ich will das volle Leben, nicht nur die netten kleinen Anne Geddes Babies, heidipu! Dann doch lieber Picasso: Paintings are not done to decorate apartments, they are weapons of war. Und so zeichne ich dunkel und wild, momentan um die Zeit des Symbolismus herum mit Wrubel, Kubin und anderen wilden mit Dämonen und nicht ganz braven Sexanspielungen. Mit Robyn ging ich gestern im Busch spazieren zu einem dunklen Wasserloch, das ich fotografierte. Sie scherzte, ich solle das bleiben lassen, das würde mich nicht segnen, das dunkle Wasserloch. Ein Foto und die Kamera mag nicht mehr, Sand im Objektiv, würde ich schätzen, fährt nicht mehr rein und die Kamera tut nix mehr. Da hilft nur Weihwasser, vermute ich.

Ein Jahr bin ich nun bald unterwegs und ich schaue schon mal zurück. Viele richtige gute Erfahrungen waren da dabei. Insgesamt bin ich bestimmt die Alte, ein bisschen mehr eingefahren in meiner no Schickimickieinstellung, ein bisschen gelassener, ein bisschen fokussierter vielleicht. Die Natur und die Tiere sind mir nun noch näher. Ich bin vielleicht auch etwas weniger an Intellektuellem orientiert. So richtig werde ich erst sehen, wie ich mich verändert habe, wenn ich wieder in Regensburg und bei Euch lieben Freunden bin. Ich freu mich schon auf eine ordentliche Party mit Euch! Die Idee nach all meiner „theoretischen Erziehung“ eine praktische draufzusetzen scheint jedenfalls voll gelungen und ich bin sehr froh über meine bunte Zeit hier. Oh, ich fürchte, da werden noch mehr Reflexionen dieser Art kommen. Auf bald!

Samstag, 24. Oktober 2009

Wildlife, innen und aussen

Es hat ein bisschen was Verhextes in Bundaberg. Leo und ich passten am Wochenende auf Haus und Tiere auf. Auf den Hund Pearly jedoch offenbar nicht gut genug. Sie ist noch nie abgehauen, ist nun aber schon seit einer Woche verschwunden. Robyn erzählte mir davon, der Herr habe ihr gewispert, sie solle die Hunde einsperren, wenn sie wegfahren, aber nein, sie war ungehorsam und nun ist Pearly fort, die fröhliche, liebe Teenagerhundine. Ich joggte unseren Joggingrunden ab, ging durch den Busch, plauderte mit weit entfernten Nachbar- keine Pearly. Traurig sind wir alle ein wenig, am meisten wohl Lizzy, ihre Mutter und Spielgefährtin, die in der Früh kein Begrüssungsheulen mehr anstimmt.
Was hab ich nicht alles versucht, um in diesem als Arbeiterstädtchen bekannten Ort, Arbeit zu finden: Bekannte von Rolf antelefoniert, mit den Leuten von Jobagenturen, Arbeitshostels und sogar im Touribüro geredet, als Küchenhilfe beworben, die Bauern in der Gegend abgeradelt. Rolfs Bekannte Luisa führte zu einem weiterem Pflückerjob. Das hiess, um halb vier aufstehen und in die Stadt fahren (20 km), von dort in der Kolonne weitere 20km in die andere Richtung. Dann ein paar Eimerchen Tomaten gepflückt- ich wieder mal gewissenhaft nur die reifen und damit 6 Eimer, Leo zwölf,zu je 1,75 Dollar, aber alles, was ihm unterkam- und dann wars das auch schon nach eineinhalb Stunden. Man solle doch am nächsten Donnerstag nach drei Tagen Pause wieder erscheinen. Wir haben die Benzinkosten für Robyns Auto verdient, aber es scheint unmöglich, meine Bankdaten zu speichern. Zum dritten Mal wurde ich danach gefragt und nun sollte ich die Herrschaften gar in der Stadt treffen. Ach, ich vermisse meine Äpfel und Peter, das war mal sinnvolles, geordnetes Arbeiten! Aber ich bin ja nun nicht die, die aufgibt. Und morgen radle ich zu einem Tomatenfeld in der Nähe. Vielleicht lassen sie mich ein paar Tage pflücken. Und wenn ich nur zwanzig Dollar täglich verdiene, so hab ich doch nix verloren und muss nicht allzu früh auf.
Leo hat einen Job als Koch eine gute halbe Autostunde von hier angenommen und ist nun in einem winzigen Örtchen am Meer.
Ich wollte gen Süden reisen, Richtung Noosa, wo man so wunderbar surfen können soll. Dort habe ich auch einen Wwoofinggastgeber ausfindig gemacht, der mich vollständig zulaberte, als ich ihn anrief und er erfuhr, dass ich Philosophie studiert habe. Er scheint da auf einen Quacksalber gestossen zu sein, der ein paar Philosophen zitiert hat und nun sei sein Weltbild vollständig durcheinander. Meine Aufgabe bei ihm wäre dann zu philosophieren. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht an analytische Philosophie dachte. Ich sollte schon dort sein, er mich vom Zug abholen, aber seltsamerweise hat er meine Ankunft nicht bestätigt und so bin ich immer noch hier. Heute war Auktionstag in der Nähe. Versteigert wird Plunder und Wertvolles aller Grössen vom Porzellanpüppchen bis zum Traktor, der Auktionator schreit sich den Hals wund und es ist insgesamt ein wahrlich heiter Treiben, wenn eine Menschentraube von Objekt zu Objekt tippelt. Robyn schlug mächtig zu, erwarb einen ganzen Tisch mit Figuren, die weitgehend hässlich und sicherlich vollständig nutzlos sind und nun ihr hübsches kleines Häuschen im Garten zustellen. Rolf schüttelt den Kopf und weiss nicht, warum sie immer wieder scheunenweise Zeug kauft, das dann nur dem Schimmel und den Mäusen überlassen wird. Er erwarb einen Laptop und einen alten Computer- weiss der Himmel, ob sie funktionieren. Windows war nun leider nicht dabei. Ausserdem kauften sie haufenweise Holz für den Boden der Veranda. Das geölte Holz luden wir mit vereinten Kräften auf den Anhänger, von wo es einen Kilometer später auf die Strasse rutschte. Immerhin ist nichts passiert und irgendwie war es doch recht heiter. Nur den Vorschlag, ich sollte auf dem Holz sitzen, so dass es nicht mehr rutsche, konnte ich nicht ganz gutheissen.
Wir verstehen uns gut, wenn mir auch dieses fanatische Christentum bisweilen auf den Nerv geht.. Da erzählt er mir immer, dass ihn ausser der Bibel nichts interessiert und alle Philosophen nutzlos sind, weil sie sich auf den menschlichen Verstand stützen, der närrisch sei. Was Besseres als seinen menschlichen Verstand hat er aber auch nicht, um seine Bibel zu lesen, vermute ich. Ich bin geneigt, die Gemeinsamkeiten zu betonen und so reden wir über gesunde Ernährung und Verrücktheiten anderer Menschen und verschweigen die eigenen und besonders die des Gegenübers. Ein kleiner Triumph ist, dass er mittlerweile einsieht, dass ich genauso gut wie ein Mann bin. Dachte er doch zuerst, ich könnte ihm keinen Graben für sein Giesswasser ausheben oder ihm beim Holzladen und Befestigen helfen. Ich steige auf und darf nun gar die Terrasse mit verlegen, nachdem er sich von seinem Vorurteil der Nutzlosigkeit aller weiblichen Wesen in praktischen Dingen getrennt hat.
Ich habe genug gemalt, geschrieben und gelesen hier. Wenn auch die Bücherei weiter sehr verlockend ist: da gibt es z.B. Ray Monks Russellbiographie, Filme, die ich im Kino verpasst habe, herrliche Kunstbände und die unterhaltsame Zeitschrift „Psychology today“. Ausserdem konnte ich mit dem Hagen- und dem Emersonquartett mit Dvorak, Debussy und Ravel endlich mal wieder meinen Player auffrischen. Es fehlt also an nichts, aber ich will trotzdem noch mehr hier sehen als Bundaberg und Umgebung. Die nächsten Tage wirds hoffentlich mit Noosa und dem Yogaphilosophen klappen und danach zu meiner Autorin und ihrem Englischlehrergatten in der Gegend um Brisbane. Auf die beiden freue ich mich besonders, machen sie doch beide was, was mir sehr am Herzen liegt.
Deroweil weiter Faszination wildlife mit der braunen Giftschlange im Garten und dem eineinhalbmeter langen krokodilähnlichen Goana im Baum und der Tarantel an der Plumpsklotür. Immer schön locker bleiben...

Samstag, 10. Oktober 2009

Korallenschnorcheln, zeichnen und surfen






Ich bin immer noch in Bundaberg, immer noch „in the sticks“, also ein gutes Stück weg von Läden und Internet. Es ist schon seltsam- hier fühlt es sich recht nach einem Zuhause an. Früh aufstehen, umgraben, anpflanzen, einen Hennenverschlag bauen. Und nach ein paar Tagen habe ich eine kindliche Freude, wenn die Kräuter und Karotten einen Millimeter grün zeigen und meine mittlerweile fünf Hühnchenkinder das erste Mal herumfliegen und offensichtlich ihren neuen Freiraum geniessen.
Freiraum hab ich mir auch gegönnt- wenn ich schon so brav hier wwoofe, so sollte ich dennoch was von der Gegend sehen. Grund meiner Reise in den Norden der Ostküste war, das Great Barrier Reef zu sehen. In der Gegend um Bundaberg trifft das Riff auf die Küste, oder fast. Nach kurzen Erkundigungen fand ich heraus, dass es hier eine kleines Inselchen zu besichtigen gibt, das von Korallen umgeben ist. Mit einem Boot kann man zu Lady Musgrave Island schippern und dort den Fischen in die Korallen folgen. Man kann auch zu Lady Elliott Island fliegen, das ist aber bedeutend teurer und aus meiner Sicht unnötig.
Ich habe mich für einen Tagesausflug nach Lady Musgrave enntschieden. Dort hätte man auch wunderschön campen können, aber ich hatte keine Lust den doppelten Fahrpreis von 165 Dollar zu zahlen. Plus 4 Dollar Campinggebühr, pah! Auf dem Hinweg ging es ein wenig rund an Bord. Die bibbelnden ca. 40 Asiaten wurden grün und grüner im Gesicht und machten meist mehrfachen regen Gebrauch der Spucktüten. Ich werde älter und mir war auch etwas mau, allerdings entschied ich mich für ein kleines hilfreiches Nickerchen, gepaart mit dem Mantra „Seekran sind nur Schwächlinge“. Man legte vor der Insel an und fuhr mit einem Glasbodenboden weiter über Korallen und Schildkröten, was einen guten Vorgeschmack aufs Schnorcheln gab. Die Insel ist 17 Hektar gross und rundum ist Korallenstrand. Man darf kein Stückchen mitnehmen, was ich Schlimme in ein winziges Stückchen weisse, knochenähnliche Koralle uminterpretiert habe. Das lag da herum, ohne offensichtlichen Gebrauch für Tier und Pflanzenwelt und ich konnte nicht wiederstehen. Mein eigener illegaler Zentimeter Insel. Es gibt dort auch böse kleine Krabben: ein Biss von ihnen aus einer hübschen Schneckenmuschel heraus und man darf auf einen 4000 Dollar teuren Helikopterflug ins nächste Krankenhaus hoffen oder man kann die letzten 4000 Dollar seines Lebens sparen. Ansonsten sind dort nur laute und viele fluglose Vögel, die es aber immerhin bis auf die Bäume schaffen. Irgendwann konnten sie mal fliegen, auf der Insel haben sie es aber aufgegeben. Auf der Insel wachsen Pisoniabäume, die sehr leicht in Stürmen umfallen. Sie haben klebrige Blüten, mit denen sie die Vögel fangen, die dann verhungern und als Dünger in den Boden eingehen. Erstaunlich. Der beste Teil war nicht das Mittagsbüffet, sondern die Schnorchelei. Ich war zweieinhalb Stunden im Wasser und einfach nur fasziniert. Bleistift- und Tintezeichnen macht sehr viel Spass, aber nach diesem Ausflug brauchte ich Farben, Wasserfarben für all die Fische. Alle Grundfarben und zahllose Mischfarben, fröhliche und distinguiert scheinende zwischen farbigen Korallen und Seesternen. Sie scheinen nicht weiter gestört von der Anwesenheit der Menschen und kommen zum Greifen nah. Schade, dass ich keine Unterwasserkamera habe, um schummrige Photos zu schiessen, die dann doch nur ich schätzen würde. Das Wasser ist klar, blaugrün, türkis. Die Asiaten waren wieder eine Freude, trauten sich nicht recht ins Wasser oder wackelten aufgeregt auf dem Absprungplatz herum, tauschten Flossen, Maske und Schnorcheln ungefähr so oft wie die Spucktüten und fanden ständig Grund zu den kontinenttypischen Kichereien. Erstaunlich. Die letzte kleine Lästerei: drei Minuten vor Ende der Fahrt bildeten sie eine lange Schlange vor der Toilette, die sie vorher weitgehend unbeachtet liessen und drängten munter und laut. Die Crew war nett, das Essen fein und ich war glücklich.
Richtig nett war auch der englische Busfahrer David. Ein weisshaariger Herr um die siebzig, den ich im Fahren mit mit viel Freude zeichnete. Er lebt auf einem Boot. Er meinte, ich könne jederzeit kostenlos mit ihm im Bus mitkommen, wenn ich in Agnes Water, 120 km von hier surfen wolle. Leihgebühr Brett mit Unterricht für vier Stunden 30 Dollar, da war ich dann schnell dabei. Die Fahrt war nett, wenn auch David frei hatte und ich von einem grummeligen und vom Leben gelangweilten ausgewanderten Kölner chauffiert wurde. Der Surflehrer ein witzelnder Sunnyboy, der gar nicht aufhörte uns auf die Schönheiten von Natur und Strand hinzuweisen, wohl um von den eigentlich nicht existierenden Surfwellen abzulenken. Immerhin hat er mir beigebracht, dass was ic bis dato gelernt habe, falsch ist. Der Strand war hübsch, ich sah hunderte Sandkrabben, die sich in den Sand wühlten, wenn ich des Wegs kam, einige Angler und Vögel und hatte einen Schwatz mit einem ausgezeichneten Pfeifer, der im ACDC Shirt von seinen Surfereien erzählten. Lange graue Haare, Zopf, er sagte was von Mediziner und ich schätze ihn auf Mitte siebzig. Nein, gegen die Surfergemeinschaft kann ich nichts sagen. Nette, humorige und entspannte Leute, die gar nicht gleichgültig gegenüber den Menschen und der Natur scheinen.
Und dann war da noch das „Paint in“. Barbara, Robyns und mittlerweile meine Privatkunstlehrerin hatte eine Fahrt zu ihrer Tochter auf dem Lande organisiert. Sie hat dort ein grünes Holzhaus mit grossen Vogelgehegen, jungem Hund Jake, zwei wuscheligen Katzen und einem Mann, der nicht von meiner Seite rücken wollte. Sehr hübsch ist es dort, man merkt, sie lesen ihre aufgestapelten„Countryhome and Ideas“ Zeitschriften auch. Mittags wurden wir mit einem Eintopf und Brot versorgt, die in einem mit Holzkohle beheizten Loch drei Stunden gekocht wurden. Ich probierte meine neu erworbenen Aquarellfarben aus, die aber leider noch zentnerschwer auf meinem Papier liegen anstatt locker luftig, wie es sich gehört. Dafür ist nun mein Skizzenbuch wellig. Mit der Zeichnerei habe ich wirklich eine neue Leidenschaft entdeckt- nicht dass ich nicht schon die ein oder andere hätte- und ich bin begeistert von Carbon- und weichen Graphitbleistiften, vor allem aber von der Tinte und Conté crayons. Am meisten Spass macht es Leute zu zeichnen. Beim Malausflug waren wir zu zehnt, zahlten nur die zehn Dollar fürs Essen und jeder sass in irgendeinem Eckchen und nach einer Weile stellten wir die Skizzen und Kleinwerke vor. Meine Mitmaler sind meist im Rentenalter und mit viel Liebe am Werk. Ich werde zusehen, mehr über Karikaturen zu lernen. Es ist erstaunlich, wie anders ich die Dinge nun anschaue- auf Proportionen und Winkel, Biegungen und auch Bewegungen. Escher, O'Keefe, Rembrandt, Goya, Van Gogh und Hopper die Armen, dienen mir als Vorlage zu Detailkopien und ich sehe viel mehr, wie die Dinge gemacht sind und warum es so schwierig ist, genau diesen Stil zu malen. Ohne die Zeit, die ich mir hier genommen habe, hätte ich womöglich weiter an der Überzeugung festgehalten, dass ich im Kunstfach eher nutzlos bin. Mich auf einem Selbstporträt zu erkennen, war ein Schocker- liiiiiiiiii, das bin ja ich - wenn auch sehr verdriesslich.
Die Tage auf der kleinen Farm gehen ihren ruhigen Gang, meine fünf kleinen Küken Donald, Daisy, Tick, Trick und Track werden mächtig gross, die Hunde gehen mit mir mit wahrem Enthusiasmus laufen, ich hebe tiefe Löcher aus und freue mich, wenn meine Karotten, Frühlingszwiebeln und Kräuter so herrlich gedeihen. Wir brauchen fast nichts vom Supermarkt- ein bisschen Milch und Butter, Mehl fürs Brot und Limonade und Tee für Leo. Das Leben von den eigenen Erzeugnissen gefällt mir sehr und ich fühle mich fit und gesund bei soviel guter Nahrung. Fünf Wochen Bundaberg und kein schlechtes Leben!