Samstag, 31. Oktober 2009

Eine Woche Leben als Sklave






Nun haben sich die Dinge doch entwickelt. Zweimal sass ich in der Früh um sechs vor dem zwei Kilometer entfernten Tomatenfeld, bewunderte die Vögel (Kookuburra, Fantails und bunte Lorrikeets), las meine Russellbiographie und schrieb mein Tagebuch, aber keine Pflücker weit und breit. Am dritten Tag rückten sie dann an und ich wurde vom Türken Mehmet zum Erscheinen am Tag darauf befohlen- you come tumurra, you work. Wie später üblich schreiend, im Befehlston. Seine Frau teilt sich mit ihm den Schreiposten und man hört durch die Walkietalkies, die sie tragen ständig den jeweils anderen auf türkisch schreien, was zu gleichen Reaktionen und unwirscher Mine führt. Ich habe beschlossen, das lustig zu finden, ich glaube, die Herrschaften sind hart, aber gerecht. Hart ist der Job vor allem für den Rücken. Normalerweise geht’s um fünf in der Früh los, was mich nicht weiter stört, bin ich doch eh immer früh auf. Dann wird höchstens bis neun gepflückt. Jeder Eimer wird mit einem Dollar fünfzig nach der Steuer satt belohnt und ich komme im Schnitt auf fünfzehn Dollar am Tag. Würde ich nicht nur das Reifenprofil des geliehenen Fahrrads abfahren, wärs das Ganze freilich nicht wert. Zumal danach mein Rücken schmerzt und ich mir doch recht sicher bin, dass das der unangenehmste Job und am schlechtesten bezahlte Job ist, den ich je hatte. Da kommt kein Fliessband und keine Wäscherei ran und ganz sicher nicht die Müllhalde oder gar die Äpfel beim netten Peter in Neuseeland. Zudem gibt es auch noch Untersklaventreiber, die einem nachrennen, wenn man eine Tomate nicht pflückt oder zuviel grün oder rot im zirka zwanzig Kilo schweren Eimer hat. Den schleift man vor oder hinter sich her, die Reihen entlang, in gebückter Haltung und streift mit der anderen Hand Blätter zur Seite auf der Suche nach Tomaten. Die perfiden Dinger sind meist unter anderen grünen Tomaten und reifen nicht an der Sonne, sondern gut eingehüllt, was oft zu Pfrimeleien führt. Die Tomaten sind fast alle am Boden, so dass man sich komplett vornüber beugt. Rote Tomaten sind tabu, man pflückt nur grünes Zeug mit einem winzigen Farbansatz. Viel Gift aussenrum, die Haut juckt ein wenig durch die Handschuhe. Einen Tag pflückten wir Zucchini, die verkratzen einen auch noch am Handgelenk und meine Chefin meinte, ich hätte keine Augen im Kopf und die Brille sei wohl nutzlos, da ich ein paar Zucchini zu Beginn übersah. Meine Mitpflücker sind fast alle Asiaten, die wenig zu einem Plausch oder einem Morgengruss aufgelegt sind. Sie mögen etwas schneller sein als ich, aber richtig Geld machen können sie auch nicht, müssen sie doch Essen und Unterkunft auf dem Zeltplatz zahlen. You can earn good money, schreien die türkischen Treiber aber trotzdem als eine Art Mantra. Wenig glücklich fand ich die Entscheidung, ihren Sohn heute mit aufs Feld zu bringen und ihm die Sklaventreibermethoden beizubringen. Sie mögen ja glauben, dass man die Asiaten derart antreiben muss, für einen zehnjährigen Buben vermittelt das aber doch einen sehr schrägen Eindruck. Ich Chef, also Du nix. So geht man nicht mit Menschen um. Sein Versuch, mir mit einer übersehenen Tomate seine Überlegenheit zu demonstrieren, scheiterte ein bisschen daran, dass ich seine „girl,girl!“ Rufe ignorierte. Meine Chefin drohte wie üblich mit dem Boss- if you do miss tomato and big boss see, you out! Mit big boss hatte ich ein munteres Schwätzchen, als ich ihn zufällig auf dem Feld traf, er fand das sehr amüsant. All dies gibt Anlass zu allerhand netten Autoritätsstudien. Gottlob bin ich auf Derartiges nicht angewiesen. Aber ich fand es sehr spannend, einmal im wahrsten Sinne ganz unten zu werkeln. Ich hoffe, meine paar Dollar werden mir überwiesen. Den Job verbuche ich in jedem Fall unter drastische Erfahrung. Wie fühlt man sich, wenn man nicht als Mensch, sondern nur als Pflücknummer behandelt wird? Das ist das Aufregende am Reisen- jeden Tag ein bisschen wie eine neue Identität, wenn ich das will.

Eine Woche Tomaten und Zucchini ist jedenfalls genug für meinen Stoff zum Nachdenken und auch für mehr als die Fahrt nach Noosa. Zudem bin ich nach dem Job sehr motiviert, mich um andere Dinge zu kümmern, wie z.B. meine journalistischen Artikel und neue wilde Ideen. Am Donnerstag reise ich ab und werde nicht von meinem wilden Yogakommunenmann, sondern von der 68-jährigen Holländerin Anne vom Zug abgeholt. Sie hat Pferde und mag Gesellschaft. In der Nähe, erreichbar mit dem Bus, ist der Noosastrand zum Surfen und auch der berühmte, wohl riesige Markt von Eumundi. Dort gibt es auch Kunstgalerien. Am 16. November bin ich bei David und Sue. Er ist Lehrer für Englisch und wissenschaftlicher Berater (was auch immer das genau heisst finde ich raus), sie Romanautorin und Lehrer für kreatives Schreiben. Eine faszinierende Mischung, zudem scheinen sie sehr nett, geradlinig und vermutlich sehr zuverlässig. Ich freue mich sehr auf sie, habe ich doch schon als wir in Brisbane waren, versucht zu ihnen zu kommen.
Was Leo macht, ist mir nicht ganz klar, ich vermute, er wird weiter arbeiten. Ich werde sehen. Manchmal denke ich, es war sowas wie meine Aufgabe, ihm ein wenig zu helfen, ihn zu unterstützen, ihm Kraft, Motivation und Zuversicht zu geben. Nun ist er ganz selbständig zu seiner Arbeit aufgebrochen und muss sich ein wenig allein weiter durchbeissen.

Da gäbs dann auch noch Colin, der auf einem Boot lebt und Häuser anstreicht. Er nimmt Wwoofer und lässt sie gar streichen, womit er sein Geld verdient und der Wwoofer dann auch. Das wäre gar nicht dumm, allerdings ist er drei Stunden südlich von Sydney in Yass und damit sehr weit von mir entfernt.

Robyn betet hier für Regen. Im Kalender haben wir gesehen, dass es volle fünf Monate nicht geregnet hat und die Mango und Zitrusbäume werfen die Früchte ab und lassen die Blätter hängen. Traurig ist das und ich hoffe sehr, dass es bald regnet. Dieses Klima hier ist doch ganz bedeutend anders als das von mir gewohnte in Regensburg. Trockenheit und Hitze- das habe ich mit Australien verbunden, es aber nur partiell angetroffen. Bis jetzt...

Meine Finanzsituation sehe ich unter dem sportlichen Aspekt: ein bisschen was einheimsen, fast nichts ausgeben. Ich organisiere viel und bin damit auch zufrieden. Mir fehlt es an nichts. Da ist Bildung durch die Menschen, die Natur und die Büchereibücher. Und da ist feinstes Essen beim Wwoofen und ein kuschliges Bett. Von meinen 2500 Noccundradollars sind mir noch 1200 geblieben, das ist doch schon mal was. Ich bin sicher, dass ich mittlerweile exzellent wirtschaften kann. Ich male mir ein T-Shirt mit „Job wanted“ und gucke, wie die Leute reagieren und ich werde mich in die Strasse stellen und testen, wie es sich anfühlt, Teil der „free hugs“ Leute zu sein. Kostenlose Umarmungen auf der Strasse anzubieten fordert meinen Mut. Könnte ein echtes Erlebnis werden, sicher der ungefährlichen Art, aber doch sozial exponiert und daher jenseits der Komfortzone.

Rolf hätte mich sicher gern noch ein Weilchen behalten. Da Robyn als Krankenschwester meist arbeitet, ist er hier viel allein und hat sich so an meine Gesellschaft gewöhnt, dass er schon meinte, man könnte mich vielleicht als weitere Tochter aufnehmen, wie das schon mit anderen Wwoofern geschehen sei. Sehr lieb, wirklich, ich fühle mich hier recht behaglich und daheim, auch wenn wir in einigem, vor allem den Glaubensdingen, nicht ganz einer Meinung sind. Robyn ist sehr liebenswert mit ihrer speziellen Art mit Tieren. Sie fing einen Chickenhawk mit blossen Händen und scheint mir so etwas wie ein Pferdeflüsterer. Sie scheint die Tiere zu verstehen. Sie ist geradlinig, burschikos und auch spitzbübisch. Ich mag sie sehr. Und ich verlasse Barbara, meine Kunstlehrerin. Und mit ihr die Schüler Ron, der seinen Parkinson mit Malen in Griff bekam und Allan, der immer scherzt, ich sei zu gut und er frustriert ob meienr Anwesenheit. Da war ich doch bei einigen Malstunden. Das letzte Mal wollte sie mich davon abhalten, ein Rembrandtselbstporträt abzuzeichnen, da es ihr zu düster schien. Sie meinte, ich wolle doch wohl Kunstwerke produzieren, die die Menschen segnen und nichts so dunkles. Äh, nein. Ich will das volle Leben, nicht nur die netten kleinen Anne Geddes Babies, heidipu! Dann doch lieber Picasso: Paintings are not done to decorate apartments, they are weapons of war. Und so zeichne ich dunkel und wild, momentan um die Zeit des Symbolismus herum mit Wrubel, Kubin und anderen wilden mit Dämonen und nicht ganz braven Sexanspielungen. Mit Robyn ging ich gestern im Busch spazieren zu einem dunklen Wasserloch, das ich fotografierte. Sie scherzte, ich solle das bleiben lassen, das würde mich nicht segnen, das dunkle Wasserloch. Ein Foto und die Kamera mag nicht mehr, Sand im Objektiv, würde ich schätzen, fährt nicht mehr rein und die Kamera tut nix mehr. Da hilft nur Weihwasser, vermute ich.

Ein Jahr bin ich nun bald unterwegs und ich schaue schon mal zurück. Viele richtige gute Erfahrungen waren da dabei. Insgesamt bin ich bestimmt die Alte, ein bisschen mehr eingefahren in meiner no Schickimickieinstellung, ein bisschen gelassener, ein bisschen fokussierter vielleicht. Die Natur und die Tiere sind mir nun noch näher. Ich bin vielleicht auch etwas weniger an Intellektuellem orientiert. So richtig werde ich erst sehen, wie ich mich verändert habe, wenn ich wieder in Regensburg und bei Euch lieben Freunden bin. Ich freu mich schon auf eine ordentliche Party mit Euch! Die Idee nach all meiner „theoretischen Erziehung“ eine praktische draufzusetzen scheint jedenfalls voll gelungen und ich bin sehr froh über meine bunte Zeit hier. Oh, ich fürchte, da werden noch mehr Reflexionen dieser Art kommen. Auf bald!

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