Mittwoch, 18. November 2009

Anpassen und nicht verbiegen






Die verwunschene Kamera funktioniert wieder! In Bundaberg kam ich in eine kleine Plauderei mit einem älteren Ehepaar. John und Patricia sind im Ruhestand und erholen sich von ihren Zitrusfrüchten, die sie anbauten. Sie luden mich prompt zu sich auf einen Tee mit Scones, den kleinen englischen semmelartigen Süssdingern ein, ich durfte ihren wilden Dackel beim Fussballspielen bewundern und wir checkten die Kameralage im Netz. Ein paar wilde Warnungen über die vermeintliche Unreparierbarkeit später und die Ankündigung, dass eine Reparatur teurer als die ganze Kamera ist, sassen wir da mit Uhrmacherschraubenziehern und einem Fön zum Herausblasen des das Getriebe hemmenden Sandes. Ein bisschen rohe Gewalt, das Objektiv in die Kamera gedrückt, ein paar mal ordentlich geschüttelt und schon geht wieder alles. War ein netter kleiner Ausflug zu den beiden.

Nach wilden Zuneigungsbeteuerungen von Rolf und Robyn und dem Versprechen, von sich hören zu lassen, gings auf zu Anne, der Frau, zu der ich in der Noosagegend gehen wollte. Das war wieder mal... anders. Aber von vorn. Erst kam Robyns Familie mit vier Kindern zwischen zwei und zehn angerückt und ich war zum Kinderherumwerfer und Spassvogel umfunktioniert, was auch mal wieder lustig war. Am Bahnhof tauchte Leo einigermassen abgerissen auf und wollte am Freitag mit mir nach Cooroy fahren, wo mich Anne abholen sollte. Er war dort freilich nicht angemeldet und ich daher, unter anderem, etwas zögerlich. Dennoch fuhr er mit, dennoch wurden wir abgeholt, wenn Anne Leo auch nicht als Wwoofer annahm, ihn in der Waschküche einquartierte und er für sein Essen zahlen sollte. Das war in Ordnung. Etwas schräg war dann aber, dass ich meinen Rucksack in der Garage lassen sollte, anstatt ihn in meinem recht grossen Raum zu deponieren. Dann sassen wir auf der Veranda, blickten auf ihre Pferde und ihren Poolreiniger und hörten uns ein Lamento über die Knappheit ihrer Finanzen an und dass wir daher nur Scheibletten und billigen Toast essen könnten. Aber sie fuhr mit ihrem schicken Jeep zu ihrem zirka 200 m entfernten Briefkasten. Als ich Leo, der wirklich fix und fertig war, ein Sandwich in die Waschküche bringen wollte, rannte sie mir nach, das käme ja nun gar nicht in die Tüte, gegessen werde am Tisch. Am Abend gings zu ihrem Bruder, ein netter Klavierrestaurateur und -stimmer Ende siebzig. Ich hatte mein Skizzenbuch verlegt und war etwas in Sorge, was sie dazu brachte mich anzufahren, dass sie eine Verabredung einzuhalten habe und was mir denn einfiele, jetzt noch auf der Veranda nach meinem Buch zu schauen. Mir derartige Töne anzuhören, bin ich wohl ein bisschen zu alt und passe ein bisschen zu gut auf mein Wohlbefinden auf. Als ich am nächsten Morgen für Leo nach einem neuen Wwoofingplatz schaute, organisierte ich für uns beide. Ich rief Janine an, deren Eintrag im Wwoofingbuch wirklich sehr nett klang.
Ein Anruf zeigte, dass sie zwar schon zwei Wwoofer hatte, ein französisches Paar, aber wir waren dann doch gleich herzlich willkommen und sie holte uns direkt bei Anne ab. Die war ordentlich verstimmt, meinte, sie hätte im Gegenzug für ihre Gastfreundschaft gar nichts erhalten, so dass wir ihr fünf Dollar hinterliessen. Es fällt mir nicht ganz leicht, zu gehen und sozusagen meinen Mann zu stehen, wenn es mir nicht passt. Aber mir war klar, dass es dort einiges an Ärger geben würde. Anne war frustriert, hatte sie ihr Mann doch für eine Jüngere verlassen. Ich glaube, sie trank und es könnten auch noch andere Dinge im Spiel sein. Sie wollte jemanden, dem sie sagen kann, wo es lang geht und hören, wie schlecht die Welt ist. Beides funktioniert aber nun leider mit mir nicht so gut.
Bei Janine war es wieder ganz anders. Sie wohnt an einem Hang in einem sehr hübschen Haus mit viel Holz. Unter ihrem Haus grasen die Llamas, das Pferd und die Kuh, rennen die Hühner, Gänse und Enten herum. In ihrem Haus wuseln die sechs Hunde und abends taucht eine Katze auf. Es gibt frische Milch, die nach den glücklichen Zeiten mit meiner Oma auf dem Bauernhof schmeckt. Sie hat momentan Finanzsorgen, das heisst aber nicht, dass die Wwoofer hungern. Arbeit ist nicht recht geregelt wie bei Rolf und Robyn, wo wir eine tägliche Schicht von acht bis zwölf hatten. Hier wird ein bisschen nach gusto gewurschtelt. Ich bin mit einem festen Plan motivierter, ist mir doch eher klar, wann ich frei habe. Janine hat eine dunkle Kindheit hinter sich und knabbert noch daran. Sie ist eine spannende Person, die die Welt für einige Jahre bereist, als Lehrerin gearbeitet, Astrologie und Gestalttherapie studiert hat, wenn sie auch nicht an ersteres glaubt. Ausserdem zeichnet sie wunderbar und hat eine beachtliche Sammlung ihrer Werke. Sie hat mich auf grössere Formate und viel Spass mit Kugelschreibern gebracht. Unsere Arbeit war im Haushalt, aber wir waren auch mit kleinen Baujobs beschäftigt, befestigten Latten und reparierten den Hühnerstall, räumten auf, melkten Jetty, die Kuh und wässerten mit Eimerchen die vertrocknenden Bäumchen. Es ist wirklich sehr trocken hier, wir spülen das Klo mit Wasser aus einem künstlich angelegten Teich und duschen ist eher ein Abwaschen in ebendiesem Teich oder aber am Strand unter einer richtigen, kalten Dusche, die das Gefühl von wahrem Luxus vermittelt. Janine ist interessante, aber auch fordernde Gesellschaft. Momentan fühlt sie sich nicht im Stande zu arbeiten, vieles aus ihrer Vergangenheit überwältigt sie. Zudem hat sie das von Moskitos übertragene Rossfieber, das sie manchmal sehr müde werden und ihre Gelenke anschwellen lässt. Als wir einen ganzen Vormittag zusammensassen, um über Möglichkeiten an Geld zu kommen, zu sprechen, endete das in einer grossen Therapiesitzung. Perrine, die nette französische Wwooferin sass dabei und erzählte ebenfalls lang von ihrer verkorksten Kindheit. Puh, da frag ich mich, ob ich wirklich gern Therapeut wäre. Ich war nach drei Stunden vollständig durch den Wind und sehnte mich nach körperlicher Ertüchtigung. Das Kuhmelken bietet das ausreichend, bin ich doch mit meinem Metalleimerchen emsig beschäftigt, Jetty mit ruhigem Zureden und Streicheln, Heu und Futter bei Laune zu halten. Wenn es ihr passt, spaziert sie weiter und das mit Vorliebe in meinen Eimer, den ich dann schnell unter ihr wegziehen muss. Ausserdem drohen Krämpfe in Beinen beim Niederhocken und in den Händen vom Melken. Macht trotzdem Spass. Dann noch ein paar Zecken aus ihrem Fell gezogen und alles ist gut. Die Llamas und das Pferd kriegen ihr Heu, die Hühner ihr Futter und Wasser und die Tiersitzung ist beendet. Vollständig hingerissen bin ich von den drei kleinen graubraunen Windhunden Dios, Bosa und Aria. Sie haben gleich Katzen ihren eigenen Kopf, sind keine winzigen Schosshündchen, aber sicher nicht monströs und einfach herzig und sehr streichelbedürftig. So einen hätte ich wirklich zu gerne.
Rolf und Robyn kamen zu Besuch, da sie auf dem Weg gen Süden waren und brachten Bananen vorbei. Rolf benahm sich ziemlich daneben, trat in Janines Haus ein und tat gleich lautstark kund, dass ihm ihre Zeichnungen nicht gefallen. Dann sagte er auch gleich, dass ihm die Aubergine auf seinem Sandwich nicht passt und Janine reagierte einigermassen gereizt. Ich fühlte mich zwischen den Stühlen. Einerseits kann ich nichts dafür, wie er sich verhält, andererseits habe ich ihn sozusagen eingeladen. Und da nun Janine momentan nicht ganz auf der Höhe ist, nahm sie das für den kompletten nächsten Tag so mit, dass wir, wenn wir sie überhaupt sahen, sie sehr, sehr schlechter Dinge war. Da stelle ich wieder mal fest, wieviel Sensiblität es doch braucht, wenn man durchs Wwoofen für eine Weile ins Leben anderer Leute einsteigt. Die Anpassung, die bei Rolf und Robyn gut klappte, ist hier eine ganz andere. Kein wildes Christentum, kein geregelter Tag, Hunde im Bett und ein ganz anderer Umgang. Sie kennt und mag Kunst und klassische Musik und die Gespräche gehen eher darüber und nicht über den Glauben oder gesunde Ernährung. Janine mag bunte Farben und flucht schon mal. Wir waren in einem alternativen indischen Cafe und hörten Klarinette und Trommel, was auch mal eine nette Abwechslung war. Janine fühlte sich inspiriert durch unsere abendlichen Zweierunterhaltungen und meinte, ich könnte sie wohl wieder auf den Pfad bringen, so dass sie ihr Leben wieder richtig im Griff hätte. Ich hätte es sogar geschafft, sie zum Brettspielen zu motivieren, das sei ihr vorher nie passiert, das sei eine wahre Gabe. Ich schmunzelte und freute mich. Sie ist gelangweilt- keine Kunst, keine allzu spannenden Leute in der Umgebung. Nur die Wwoofer und die sind so bald wieder fort.
Ich war begeistert davon, selbst Joghurt und Butter mit der frischen Kuhmilch zu machen. Beides schmeckte wunderbar, viel besser als aus dem Laden, wo man fuer 500g Joghurt schon mal fuenf Dollar hinblaettert. Ueberhaupt hat dieses Bioleben nachhaltige Auswirkungen auf mich. Wie lecker ist das Essen und wie schoen ist es, eigene Dinge anzubauen und zu ernten. Ich habe wirklich einen ganz anderen Bezug zu meiner Nahrung. Da denke ich auch wieder daran, wie gut doch das Wwoofen ist: ich fuehle mich richtig reich. Ich lebe in spannenden Umgebungen mit allerlei interessanten Leuten, esse bestes Essen und zahle mit ein paar Stuendchen Garten- oder Hausarbeit. Ne, da kann ich nicht meckern. Man darf halt nicht zu heikel und etepetete sein, sonst ist es schwierig, zwischen die Kakerlaken zu kriechen, Schlangen in der Garage zu treffen und auch mal ein nicht ganz so wunderbares Mittagessen zu verschmausen- wenn das auch extrem selten ist. Im Gegenteil nehme ich haufenweise Inspiration fuer neues Essen mit. Seit der Zeit in Bundaberg bin ich vollstaendig ueberzeugt, dass rohe Mahlzeiten ausgezeichnet sind. Lecker, gesund und gut zuzubereiten. Mit den richtigen Sossen und Kombinationen und vor allem mit Gemuesesaeften huepfe ich durch den Tag vor Energie. Und nebenher koennte ich gar noch ein bisschen leichter werden, was ja nun auch kein Schaden waere. Mehr davon! Ich will auch eine Kuh und Huehner und Windhunde!
Am 12., Leos Geburtstag, wurden wir ins schicke Noosa chauffiert, wo sie händeringend Köche suchen. In einem sehr versnobbten italienischen Restaurant gingen wir zu einem eisekalten Jobinterview. Leo reizte der Job, doch redete ich ihm zu, sich nicht wieder in eine solche Hölle zu begeben, mit der er wirklich nicht gut umgehen kann und Geld und Gesundheit riskiert. Der Strand in Noosa ist wunderbar, das Meer klar und die Wellen ein echtes Vergnügen, wenn auch leider zu klein zum ordentlichen Surfen an diesem Tag.
Meine türkischen Tomatensklaventreiber haben nicht gezahlt, was mich richtig ärgert. Nie habe ich ein paar Kröten härter verdient und nun werden sie mir nicht mal überwiesen. Abhilfestrategien bis dato: ein Anruf und eine SMS mit der Drohung mit Rechten, aber vor allem den Freunden, die sie besuchen kämen und meiner Rückkehr. So richtig viel lässt sich wohl nicht machen.
Beim Blättern durch Selbsthilfebücher und Astroweisheiten kam mir die Idee zu einem Selbsthilfebuch der humorigen und unesoterischen Sorte. Ein wachsender Markt, auch wenn der Buchmarkt allgemein momentan ein wenig leidet. Ich grüble und konstruiere. Man wird sehen.
Nach der Woche bei Janine ging es wie so oft ans Ausmisten. Oh Wunder- mein Problem ist meine Bibliothek, die momentan aus 22 Büchern besteht, Reiseführer und Wwoofingbuch eingeschlossen. Meine Klamotten halte ich im Zaum, jedes zerfallende T-Shirt- und das geht schnell, bei soviel Tragen, körperlicher Arbeit und Sonne- wird durch ein neues im Op-Shop ersetzt. Gestern liess ich mich gar zu einem Sommerkleid hinreissen, das allgemeinen Anklang fand und unglaublich luftig ist. Was für ein Vergnügen bei dieser unfassbaren Hitze von 36 Grad im Schatten. Miste ich daheim alle paar Monate aus, wird das hier zur Routine und meine Einstellung zu Dingen ändert sich sukzessive. Netter Schnickschnack muss wirklich winzig sein, um weiter mitgeschleppt zu werden. Meine echte Neuseelandpauamuschel, Blossom the Powerpuff und das wars dann. Bücher werden gelesen und weitergegeben, getauscht oder mit der warmen Jacke heimgeschickt. Die Dinge halten mich nicht zurück, so wie ich es befürchtet habe, bevor ich auf Reisen ging. Und es findet sich doch immer wieder alles Nötige und noch viel mehr in den Häusern unserer Gastgeber.
Am Montag ging es weiter gen Brisbane zu David und Sue. Darauf freute ich mich sehr. Ich erwartete eine organisierte, tendenziell schickere Umgebung und warmherzige Leute. Und genau das habe ich auch vorgefunden. Mehr dazu in der nächsten Soapfolge!

2 Kommentare:

  1. Hi. Das mit dem Selbsthilfebuch ist eine sehr gute Idee. Kannst ja schon mal ene Packliste posten "Was brauche ich wirklich?" Hier ist heute ein Sonnentag im Nebel. Am Sonntag haben sie den Turm der Zuckerfabrik gesprengt. Niemehr Caramelluft in REgensburg. Dusche: evtl. wär so ne Campingsolardusche ne gute ERgänung der REiseausrüstung. Das sind so 10 l schwarze Plastiksäcke. Funzt gut und kost hier nur 5 Euro.

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  2. Leicht reisen ist angesagt. Und zudem sind wir ja jetzt im wahren Luxus, nix Duschmangel, wir denken hier gross: Poooooool, zum richtig Bahnen schwimmen, jawoll! Ohja, ich wurschtel an meinen Ideen. Hoffe, ein paar fruchtbare werden am Ende dabei sein!

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