Donnerstag, 11. Februar 2010

Radikale Dankbarkeit tut not!






Ich probiers auch mal: schick den Laptop im Flieger auf dem winzigen Tischchen platziert denke ich in recht wilden Turbulenzen über dieselben meinen der letzten Tage nach. Von hinten aufgezäumt: in aller Seelenruhe hatte ich eine Fahrt mit den billigen öffentlichen Verkehrsmitteln zum Melbourner Flughafen Tullamarine organisiert und mich noch gefreut, 5 Dollar gespart zu haben, ich alter Fuchs. Der sogenannte Skybus hätte gleich 16 Dollar gekostet. Gemütlich kaufte ich mir ein Sandwich fürs Abendessen, guckte in einem Buchladen herum und wurde durch viele Bildschirme und viel Ton im Kinomuseum etwas aufgedreht. Ging alles gut, ich kam frühzeitig am Flughafen an, trödelte ein wenig herum und weldete letztlich der freundlichen Dame von Jetstar mein schon gestern ausgedrucktes Ticket vor die bewimperntuschten Äugelein und sie schüttelte den Kopf. Ich war am falschen Flughafen, eine Stunde vor Abflug meines Fluges. Ich könnte zum Taxi eilen, was mich 110 Dollar kosten würde oder ich könnte den Bus versuchen, der es aber wohl nicht schaffen würde, wie mir auch ein nahestehender Busfahrer bestätigte oder ich könne auf einen anderen Flug umbuchen, der zwar nicht nach Brisbane, aber doch an die Goldküste fliege. Ich spürte Aufregung aufkommen. Schnell denken. Taxi zahlen? Nein, der Flug hatte mich nur 89 Dollar gekostet und das Taxi würde es vielleicht nicht mal schaffen. Bus versuchen? Zu riskant. Am Service Desk stand eine lange Schlange und das Umbuchen könnte auch teuer werden. Ich versuchte es. Wurde erstaunlich schnell bedient, kostenlos umgebucht und werde nun sogar von einer mir gar nicht allzu nahen Arbeitskollegin Emma abgeholt, die ich gestern zufällig am Telefon hatte. So viel Nettigkeit wieder mal. Emma hat mich platt gemacht, Jetstar hat mich Maulaffen feil halten lassen. In einem Buch über die Reiseschriftstellerei las ich, dass einer der Vorteile dieses Berufs sei, dass man ständig auf die Grosszügigkeit der Menschen treffe. Ich bin sicher zu einem weit grösseren Menschenfreund im letzten Jahr geworden.

Melbourne. Ein bisschen gestehe ich, an Lucas, meinen Wanderfreund gedacht zu haben, der da einen Song zitierte. „Every fucking city looks the same.“ Halt, Stop, ich höre den Aufschrei. Ist ja recht. Es war toll in Melbourne, ganz klarer Fall. Ich bin herumgesaust wie in alten Potzlertagen. Ein Konzert hier, viele Buchläden da, Kultur in rauen Mengen nur so in mich aufgesaugt. Aber ich habe mich doch gefragt: isses das, das gute Leben? Ich seh überall Beton und viel Gehetztheit und ich hab mich als Hippie gefühlt, als ich mich fragte, warum sich die Spatzen und Tauben das antun. Warum ziehen die nicht aufs Land, zu Korn und weg von den Autos. Muss das abfallende Fast food sein oder die Tatsache, dass sies nicht anders kennen.

Aber nicht umsonst ist das die Kulturstadt Australiens. Ich hab mich grossartig amüsiert als Puck durch den Botanischen Garten hüpfte und Salti schlug und Helena sich nun wirklich nicht nach femme fatale verhielt. Und ich war richtig aufgeregt, mal wieder in einem klassischen Konzert zu sitzen und war hingerissen von einer Bearbeitung für Kammerorchester von Griegs Streichquartett op. 27. Das hatte Volumen und das hatte Kraft und Klarheit und ich fragte mich, warum ist da erst der Tognetti (Geiger und Chef der kleinen Truppe) auf die Idee gekommen, hätte doch der Grieg auch schreiben können. Ich höre immer noch einige Takte im rauschenden Flieger und das ist mir verdammt selten passiert.

Puck, gespielt von einem akrobatischen Sixpackmann bei Shakespeare im botanischen Garten, war klasse. Voller Charme und Schalk war die ganze Aufführung ein echter Stadtgenuss. Und auch die vorher besuchte Ron Mueck – Ausstellung wars wert: kleine und überlebensgrosse Menschen, unter ihnen „Dead dad“ standen, lagen und hingen da herum. Unfassbare Details und Echtheit bis ins letzte Härchen und Strumpfhosen alter urteilend schauender Damen. Ich krakelte in mein Skizzenbuch und war wieder ganz im Zeichnerelement. Und im Zoo war ein echtes Platypus und ich durfte Wombats, die sehr kompakt sind, einen Taetschler auf den Ruecken geben. Ob die Tiere alle so furchtbar gluecklich sind, weiss ich nicht. Aber ich hab halt doch gesehen, was ich in Tasmanien nicht mit einem Blick erheischen konnte. Die Orangutans haben mich schwer ins Denken gebracht. Durch unseren Palmoelkonsum, das sich in ganz vielen Standardprodukten findet, aber nicht erwaehnt werden muss, wird deren Lebensraum zerstoert und fuer Plantagen genutzt. Sie werden gequaelt, gemetzelt und verbrannt. Auf meinem Heimflug koennte ich auch dort Station machen und als Freiwillige arbeiten. Plaene kommen im Gehen...

Leo verhält sich, nun ja, ungesund. Er droht, mir den Hals umzudrehen, sollte ich meinen einmal erwähnten Plan umsetzen, wieder bei Peter Vernon in Ettrick Äpfel zu pflücken. Nachdem er es in der Mine nicht lange aushielt, will er nämlich nun genau das tun. Äpfel pflücken. In Ettrick. Überhaupt ist er sehr rastlos und wirkt unglücklich, was mir auch Robyn und Rolf bestätigten, bei denen er ein paar Tage Unterschlupf suchte. Alles traurig und ich wünsche ihm nur das Beste. Der Alkohol, der Alkohol.

In Melbourne ass ich im Restaurant „Lentils as anything“. Dafür fuhr ich eine halbe Stunde mit der Strassenbahn in den Stadtteil St Kilda, am Meer mit Sandstrand und Pier. Das besondere daran ist, dass das Restaurant von Freiwilligen geführt wird. Die Freiwilligen sind Immigranten, die hier noch nicht recht Fuss fassen konnten. Sie unterstützen sich, kriegen Kurse in Englisch und auch um ihre Berufsfähigkeiten auszubauen und in einen richtigen Job zu kommen. Man kann auch gern als Frewilliger mithelfen und eine Runde Geschirr spülen oder sonst aushelfen. Am faszinierendsten aber ist, dass man sein Essen nach Gutdünken bezahlt. Jeder gibt, was er für richtig hält. Das scheint meist mehr zu sein als im gewöhnlichen Restaurant, manchmal aber auch gar nichts, so dass es sich letztlich ausbalanciert. Über „Lentils as Anything“ gibt es eine mehrteilige Doku im Fernsehen und der Besitzer hat mittlerweile auch in anderen Städten Restaurants aufgemacht. Jedenfalls war mein japanischer Pfannkuchen, der vorwiegend aus Kraut besteht und mit Soyamayonnaise und Linsensosse besprengelt war, richtig lecker und ich gab aus meiner Sicher grosszügige 20 Dollar. Als Vornachspeise hatte ich ein Stückchen Guglhupf konsumiert, der viel, sehr viel gelobt wurde und das zu recht. Flüssig, schokoladiger Kern, das ganze ein Gedicht und ich war voll und nahm ein Stück Pfannkuchen in Alu mit heim.

Daheim war die Tage in Melbourne über das Häuschen der 87-jährigen Jean. Sie ist kein offizielles Couchsurfingmitglied. Ihre Tochter Sandra hatte ich auf dem Freycinet Track kennengelernt und sie bot mir ohne meine Nachfrage einfach ihr Bett an, während sie den Overlandtrack läuft. Natürlich musste ich an Jane Austen denken, als ich bei Jean Austin im Wohnzimmer sass und nach ein paar Minuten der unablässig schwätzende und riechbar angetrunkene Nicholas kam und nach Port oder Sherry fragte. Jean parierte gekonnt mit einer cup of tea, die er gerne haben könne. So sass man neben dem Pianoforte auf der Chaiselongue, guckte auf das Plumeau und die Feuerstelle und mimte Interesse an seiner Mixtur aus Lebensweisheiten und seinem kürzlich getanen Hausverkauf. Jane Austen in Reinform eben: die Damen des Hauses unterbrechen ihre Stickereien für den Besuch des sterbenslangweiligen verwitweten Vetters, den keine heiraten mag, den man aber mit Menschenliebe erduldet.

Kleiner Rückblick nach Tasmanien: Ich erhielt noch im Auto auf der Fahrt nach Launceston, als ich wieder mal Empfang hatte (alles andere als selbstverständlich in Australien) eine Nachricht von Vorn, der mich auf seine Couch für die Nacht in Launceston einlud. Ich hab es tatsächlich geschafft, vom 20. Januar bis zum 4. Februar für keine einzige Nacht zu bezahlen und gerade deshalb eine phantastische Zeit zu haben. Vorn ist selbst viel gereist, dreimal ein Jahr, und arbeitet nun als Lehrer für ein Weilchen bevor er sich wohl wieder auf Reisen macht, sobald er sein Masterstudium als Lehrer beendet hat. Man kann hier auch als Bachelor unterrichten. Er will dann mit seiner Freundin irgendeine Reise gen archäologische Ausgrabungen machen und ich witzelte schon, dass ich ihn mit der Zahnbürste im Schlamm vor mir sehe. Ich war sein erster Couchsurfer und er wollte zurückgeben, was er durch soviel Couchsurfen erhalten hat: tolle Unterkünfte, Freunde, Bier, Parties und gutes Essen. Er ist ein Outdoorfreak, sehr sportlich und sonnig und wir hatten einen sehr netten Abend mit der Frisbee an der berühmten Cataract Schlucht, leckerem Gemüse und von mir zusammengebatztem Sushi und dem eigentümlichen Film „Babel“. Peter, der andere Couchsurfer aus Singapur fiel nicht weiter auf...

In der Früh wurde ich in die Stadt kutschiert und von dort von Billie zum Flughafen gefahren. Was für eine offene, lebensfrohe Person. Wir hatten eine sehr muntere Autofahrt und einen guten Flug zusammen und skizzierten unsere Leben und Erfahrungen. Gesundes Essen, Bewegung, Lebensfreude, da lässt sich gut eine Unterhaltung für einige Stunden bestreiten.

Wieder in Mount Tamborine wurde ich sehr herzlich von meiner Familie Elizabeth, Vaughn, Xavier und Zane mit einem frisch bezogenen Bett empfangen. Ich war an meinem alten Arbeitsplatz, wo ich am Sonntag wieder richtig anfange und alle meine wilden Geschichten von meiner kleinen Reise hören wollten. Das Apfelpflücken habe ich sehr vermisst, aber ich halte mich doch an mein Versprechen, noch für Bungunyah zu arbeiten. Ich rief meinen alten Chef Peter Vernon an, und werde nun wohl etwas später gen Äpfel fliegen und damit meine vom Reisen geschundene Kasse auffüllen. Ich bezweifle, dass Leo noch dort sein wird, selbst wenn er in der nächsten Zeit nach Neuseeland fliegen sollte. Ich habe mich für einen Nebenverdienst als private Putzfrau beworben und hoffe, dass da noch was rausspringt. Ein Fahrrad versuche ich mit einem Aushang und Rumfragen zu organisieren, will ich doch nicht immer Elizabeth und Vaughns Ute leihen. Ich war gestern nach einiger Zeit wieder laufen und da Vaughn doch sehr viel Erfahrung im Fitnessstudio hat, habe ich beschlossen, das mal auszuprobieren und mit ihm zu trainieren. Er sagt mir schon, was gut für mich ist. So bin ich voller Energie, fit und drahtig für neue Abenteuer, jiha!

Jetzt haette ich beinahe mein kleines Melbourneerlebnis vergessen. Am ersten Tag in Melbourne lief ich heim. Es war Rushhour und ich lief durch eine Strasse mit stehenden Autos, in jedem ein Fahrer, grau, abgeschlafft von einem Tag im Buero noch eine gute Prise Abgase zu sich nehmend. Ich lief sehr beschwingten Schrittes, hatte meinen MP3-Player im Ohr und es passierte, was mir manchmal widerfaehrt: das Glueck, das schiere Glueck. Ich sang lauthals in all dem Stadtlaerm meine Songs vor mich hin, strahlte die Fahrer an und feierte das Leben. Und wer lachte zurueck, ganz freudig und verstehend? Inder. Einige Inder sassen da als Beifahrer in meist grossen Autos irgendwelcher Bauunternehmen. Es gibt da ein paar Weisheiten in der Welt, die sind in Indien weit besser angekommen als in der westlichen Welt, will mir scheinen. Dass das Leben eines zum Feiern ist und dass man nicht allzu ernst nehmen sollte. Und schon gar keinen Stau. Und dass Momente kostbar sind und man sich selbst dafuer entscheidet, gluecklich zu sein und nicht die Umstaende.

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