Donnerstag, 29. April 2010

Jedem sein Paradies





Ich sitze im Paradies. Dem Traum der meisten braven Arbeiter. Meer, Wellen, Sonne, billiges Bier und ich muss nicht arbeiten. Aber es faellt mir doch so schwer, mich auf dieses Leben einzuschwingen. Irgendwie bin ich kein Touristenorturlauber. Strandliegen geht gar nicht und die Warenangebote sind so gar nicht verlockend. Was will ich denn mit T-Shirts und Sticker, die herrliche Dinge anpreisen wie „Getya cunt out“ oder „Harden up and fuck“ oder beliebige englische Namen gefolgt von ... „is gay“. Ja, wen interessiert denn sowas? Zwar ist meine Feldforschung noch nicht weit gediehen, aber ich glaube doch, dass der gemeine Westler mit so einen Sticker nicht viel Eindruck schinden kann und daher die schweissnassen Rupiah lieber weiter in der Hosentasche stinken laesst.

Selbst beim Wwoofen hatte ich meine taeglichen Pflichten und als Kuechenhilfe sowieso, das Rumhaengen allein ist das meine nicht, aber zu sehr viel Sinnvollem habe ich mich bis dato auch noch nicht aufgerafft. Da komme ich doch sehr ins Gruebeln, wie es um meine Selbstdisziplin steht. Habe ich das Zeug dazu, mein eigener Chef zu sein? Natuerlich, die Bedingungen hier sind erschwert. Ich fuege mich in das Schema des taeglichen Mittagsschlaefchens. Schon das Sitzen naemlich laesst mir den Schweiss in die Augen laufen und ich, die Immergefraessige muss mich motivieren, ins Restaurant um die Ecke fuer ein Mittagessen zu laufen. Und es sind wahre Hoehepunkte, wenn ich meine Waesche im leicht modrig riechenden Wasser zur erhofften Reinigung bade oder mich von noch einem Buch trenne – die Hitze ist doch klar gegen Uebergewicht im Rucksack. Es ist so heiß, dass ich gar nicht mal den Rucksack tragen will, sondern mir eine billige Umhaengetasche gekauft habe und nur die T-Shirts trage, die auch ausreichend Luft durchlassen.

Ich lege eine steile Handelslernkurve hin und bin zufrieden mit meinem dritten Hotel, das vier Dollar in der Nacht mit Fruehstueck verlangt. Das Fruehstueck ist sogar recht lecker mit Banananenpfannkuchen und Obstsalat. Ich weile nun in meinem dritten Hotelzimmer. Leider alles Einzelzimmer und keine Schlafsaele. So lerne ich doch weit weniger Leute kennen. Die erste Nacht im L.A. War zwar irgendwie lustig, mit 8 Euro aber hoffnungslos ueberteuert, vor allem, da das Zimmer nun wirklich nicht berauschend war. Im Puri Agung Homestay mit 6,60 in der Nacht war ich schon besser bedient, dunkel, aber doch irgendwie recht lauschig. In meinem neuen Hotel, dem Arawathan, zahle ich 4 Euro und das Fruehstueck ist inklusive und das Zimmer besser als im L.A.

Das Surfbrett gestern kostete mich 5 Dollar, heute hab ich es fuer drei erhandelt. Erst wollte ich gar nicht surfen gehen. Ich dachte schon, ich bin ein rechtes Weichei. Der gemeine Surfer hier naemlich ist erfahren. Je besser der Surfer, desto kleiner das Brett und so sausten die Japaner und Indonesier flink vor meiner Nase herum und einer crashte gar in mich, hinterliess mit einer Finne einen Schnitt an der Aussenseite meines Knies und einen blauen Fleck, aber keine Entschuldigung. Und die sogenannten Anfaengerwellen hier sind ziemlich maechtig. Erst ist es schwierig, mit meinem langen Brett ueberhaupt weit genug ins Wasser zu kommen, rasen die Wellen doch in beachtlicher Hoehe an den Strand. Das geht soweit, dass ich gleich mit meinem Brett von einer besonders boeswilligen Welle ueber den Haufen in den Sand gespuelt wurde, bevor ich ueberhaupt richtig im Wasser war. Jetzt habe ich sowieso schon in fetten Lettern das Wort „Vollamateur“ auf meiner Stirn geschrieben und da erleichtert der Kampf mit den Wellen ins Wasser die Lage nun wirklich nicht. Ausser mir sind da einfach nur Koenner und ich bastle doch an meinem sportlichen Selbstbewusstsein. Manche sind aelter und schwabblig, wenn auch sehr vereinzelt. Aber die stehen dann am besten auf dem Brett. Es geht nur ums Vergnuegen, ich weiss. Und als mir heute mein gestaehlter Nachbar aus Neuseeland gestand, dass ihm die Wellen hier zu wild sind, dass er ueber den Haufen geschwemmt wird und das wirklich hart fuer Anfaenger sein muesste, war ich sehr beruhigt. Mein Ehrgeiz wurde weiter beschwichtigt, als der Boardverleiher lobend erwaehnte, ich haette da ja recht viele Wellen erwischt. Ohne mein Audiobook „Self Motivator“, wo ich im Kapitel „Don't give up“ angelangt bin, waer ich heute vermutlich gar nicht in die Wellen gehuepft. Schmerzendes Knie, ein von den Wellen verzogener Nacken und kaum ein Aufstehen und nur hie und da eine Welle, die dafuer aber viel zu maechtig, das hat mich gebremst. Gottseidank nicht ausreichend, heute hatte ich das Gefuehl, wirklich was erreicht zu haben und nicht nur zu kaempfen, sondern vor allem viel Spass zu haben. Surfen ist so gar nicht einfach und ich weiss, warum ich die Cosurfer so schaetze! Das sind also die legendaeren Baliwellen. Die Freundschaft beginnt zoegerlich und ich denke mit ein wenig Wehmut an Portugal und Raglan zurueck.

“Massasch, massasch,Transport und look at my shop“ wird in Kuta ueberall angepriesen. Das einzige was mich wirklich zu kaufen lockt, sind die vielen raubkopierten Filme, die es hier fuer einen Dollar pro Film gibt. Aber mit meinem Netbook ohne DVD-Laufwerk kann ich sie doch nicht anschauen. Man wird sehen. Vielleicht hat in Sulawesi in meinem Projekt ja jemand einen Player. Auch wenn ich nicht in grosser Shoppinglaune bin (muss man ja alles tragen und mein Reisebudget ist so fett nun auch wieder nicht), gebe ich doch ein bisschen mehr aus als vermutet. Gestern musste ein Haarschnitt fuer ca. 3 Euro her – dringend noetig nach all den Monaten ohne- und das Essen schmeckt doch auch recht gut. Anders als in Indien scheinen hier die Hygieneprobleme marginal und man kann gut das Strassenessen kaufen, das man fuer 50 cent erstehen kann oder in einem Restaurant fuer einen Euro schlemmen. Herrliche Saefte gibt’s ausserdem und ich geniesse sie reichlich. Was tut man nicht alles fuer die Gesundheit! Ein Renner ist der Avocadoschokomilchshake.

Ich habe hier Eloy aus Brasilien und seine Freundin Dori aus Frankreich kennengelernt. Er ist begeisterter und guter Surfer, sie ist viel gereist. Ein nettes Paar und ich bin froh, mit ihnen essen zu gehen. Gestern waren Dori und ich bei Maria zum Kochkurs. Fuer zehn Dollar halfen wir vier Gerichte zu kochen. Fruehlingsrollen, Curry, Nasi Goreng, Beef Stew mit Tofu. All das dauerte fast fuenf Stunden, war sehr lecker und kam mit allerhand Geschichten aus Marias Leben. Sie lebt in einem Zimmer, das halb so gross ist wie mein Hotelzimmer, ich schaetze zehn Quadratmeter. Dort sind ihre Kochutensilien, ein Benzinkocher, eine zusammengerollten Schaumstoffmatte und ein kleiner Tisch. Meist sassen wir aber auf dem Boden und mahlten Zwiebeln, Knoblauch und Tumeric zu einer Paste. Maria will mit Touristen arbeiten und die Vermutung liegt nahe, dass es dabei vor allem ums Geld geht. Sie ist 55, hat zwei Soehne in Java, eine Mutter und eine Schwester, die sich irgendwie fortbildet. Alle unterstuetzt sie finanziell. Ihr Vater wurde verschleppt und vermutlich umgebracht als sie acht war, weil er der damaligen Regierung zu aufstaendisch war. Was genau passierte, weiss Maria nicht. Und sie sagt, seither hatte sie einige psychische Probleme, hat aber immer gearbeitet. Ihre Soehne hat sie mit einem indonesischen Mann, was mit ihm geschah, weiss ich nicht. Heute wolle sie keinen Indonesier mehr. Einen Reichen kriege sie nicht, einen Armen wolle sie nicht. Sie sucht einen Westler und wurde sogar in die Schweiz eingeladen, wovon sie uns Photos zeigte. Der Schweizer war allerdings nicht besonders nett zu ihr und kuemmerte sich nicht um ein Aufenthaltsvisa, so dass sie wieder in Bali landete. Nun chattet sie weiter und versucht die allzu dubiosen Angebote zu umgehen. Maria ist eine no- nonsense Person, die mir gezeigt hat, wie hart sie hier arbeitet fuer ein bisschen Geld, das sie auch nicht viel weiterbringt. Auch mein neuseelaendischer Flugzeugnachbar, der in Bali wegen der Steuerfreiheit mit seiner indonesischen Frau und beider sechsjaehrigem Sohn lebt, meinte, dass sie hier nur weg wollen. Zu viel Bestechung und keine Zukunft fuer den Sohn. Hier kann man nichts werden, meinte er. Aber den Indonesiern geht es aus seiner Sicht gar nicht sehr ums Geld. Sie wollen fuer die Familie leben, gut essen und eigentlich nicht viel erreichen. Ob er da nur von seiner Hausfraugattin auf andere projiziert werde ich sicher bald rausfinden.

Am Strand sind ueberall Korallen, die man in Australien auf gar keinen Fall mitnehmen durfte. Hier werden sie eher wie Abfall behandelt. A propos: Das Recyclingsystem ist gut gemeint und wird vollstaendig missachtet, wie mir scheint.

Ich denke mit gewissem Heimweh an Australien, die herrlichen Fruechte und an die Samen, die Leo und ich ausgesaeht haben. Es ist sehr faszinierend, wie gut die Dinge in Bundaberg wuchsen und ich fuehlte mich bei meiner australischen Familie Robyn und Rolf doch ziemlich daheim. Der legendaere Aussielifestyle, der dem Kiwilifestyle sehr aehnlich ist, hat mich voll erwischt. Nur die Sache mit dem Schnee wurmt mich: ohne Skifahren, das ist nicht gut!

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