Samstag, 5. Dezember 2009

Wirtschaft hu, menschlich najapu






Und wieder einmal habe ich Leo verabschiedet. Er fuhr per Anhalter in den nächsten Ort, um von dort nach Brisbane zu kommen. Dort soll er medizinisch untersucht werden und sofern für gut befunden in den Norden verfrachtet, wo er unfassbar viel Geld als Koch in einem Goldminencamp machen wird können. Wir brauchen beide Geld, er muss sich da um sich kümmern und ich verstehe ihn gut, wenn ich natürlich auch traurig bin.
Zu Weihnachten wurden wir zu Rolf und Robyn nach Bundaberg eingeladen mit dem Kommentar, das sei ganz selbstverständlich, man gehöre schliesslich zur Familie. Wenn alle Stricke reissen, haben wir ein Plätzchen für die Feiertage und auch eines, an dem wir uns wohlfühlen.
Sue, David und Fergus Gough verliessen wir am letzten Samstag. Sue meinte, wir seien wirklich sehr gute Wwoofer und so nahm sie uns letztlich und alles in allem unseren gesunden Appetit, der sich gern mal an ihrem geliebten Joghurt und Müsli ausliess nicht allzu übel. Ich wusste schon beim Abfahren, dass ich den Pool vermissen würde und noch mehr Fergus, der in Leos Bett schlief und der mich regelmässig bellend und knurrend in und um den Pool jagte. Ich habe ein Leben am Stadtrand angetroffen, leider mit viel zu viel Gift im eigenen Garten, aber zwei Leuten, die es zu ein bisschen Wohlstand gebracht haben mit Dingen, für die sie eine Leidenschaft haben. Das lässt doch hoffen.
Beim ersten Anruf wurden wir in Mt Tamborine, 70 km südwestlich von Brisbane aufgenommen. Es war da die Rede von 5-Sterne Unterkunft und Essen und dazu werden Vorträge über die Beziehung zwischen gutem Essen und Gesundheit gehalten. Von all dem haben wir leider nicht viel gesehen und regelmässig standen wir hungrig vom Tisch auf, wo wir kleine, Portionen Gemüse zu essen bekamen, das man eigentlich dem Kompost überlassen hätte sollen. Dennoch ist es recht interessant hier. Ein striktes Regime, Arbeitsbeginn um halb sieben in der Früh, Unkrautjäten, wobei man grosse Gewächse mit viel Kraft aus dem Boden zieht, Bohnen pflücken, Karottenziehen, Kohl und Zucchini ernten und waschen, packen und verladen.
Geoff hat Informatik studiert, sich dann aber recht schnell ins Management verkrümmelt und in England gearbeitet, wo er die Australierin Bev traf und sie gemeinsam nach Sydney zogen. Bev war Lehrerin für Wirtschaft und Erdkunde. Sie kauften gemeinsam mit fünf anderen Familien einen Hof ausserhalb Sydney, der auch gemeinsam bewirtschaftet werden sollte. Das klappte allerdings nicht so recht und nachdem die zwei Söhne der beiden den Hof für eine Weile in Vollzeit bewirtschafteten, beschlossen sie, dann doch lieber selbst aufs Land zu ziehen und eine eigene kleine Farm zu haben. So wars denn Mt Tamborine, wo alles wunderbar wachsen soll, da es viel regnet, aber auch sonnig ist. Ihr Hof überblickt den Berg mit den vielen Bäumen und Regenwald aussenher. Hier lässt sich herrlich wandern und die Touristen kommen in Scharen in das 7000 Einwohner Dorf. Sie haben hier viel in Angriff genommen für Mt Tamborine, weitgehend aber, wie ich fürchte, für den eigenen Ruhm und Geldbeutel. Da gibt es den Bauernmarkt, zu dem jeder sein Obst und Gemüse aus eigenem Anbau bringen und verkaufen kann. Der Markt hat keinen Chef, wer dort an der Kasse steht, verdiente erst nichts, dann fünf und nun zehn Dollar. Für viele ist der Verkauf ein gutes Geschäft, verdienen sie doch im Schnitt drei bis vierhundert Dollar in der Woche. Geoff und Bev verdienen vermutlich weit mehr. Geoff ist eher der vergeistigte Typ mit einer Leidenschaft für Schach, der stets polierte schwarze Lederschuhe trägt. Diese wiederum scheinen ihn aber von ernsthafter körperlicher Arbeit abzuhalten, die eher Bev unternimmt. Jeden Dienstag fährt er zu foodconnect, einem Grossverteiler für Bioprodukte. Ich durfte diese Woche mitfahren und traf auf Rob, den Chef des Unternehmens. Er war Bauer bis die Riesenbetriebe ihm das Leben unmöglich gemacht haben. Dann hatte er die Idee dieses Bioverteilers, schlief zu Beginn in seinem Lagerhaus auf dem Boden, bezahlte sich selbst keinerlei Lohn und zog ein neues Unternehmen auf, das nun in vielen Bereichen Australiens kopiert wird. Auf Absprache liefern Privatleute und Kleinfarmen wöchentlich ihre Produkte ab. Dort werden sie neu verpackt und weiterverkauft. Nebenher konstruiert Rob Fahrräder, vor allem zum Gemüsetransport und mittlerweile auch mit Motor. Er scheint auch damit Erfolg zu haben. Bei foodconnect hängen Plakate mit neuen Ideen für die Firma an der Wand, man hört Musik und alle wirken recht glücklich. Im Büro sitzen ein paar Angestellte unter Bildern, die z.B. sagen: „Wear the old coat, buy the new book“. Rob will sich wiederholen, was man ihm weggenommen hat, meinte Geoff. Die Idee ist, dass die Kleinen etwas gegen die Grossen ausrichten. Daran glaubt auch Geoff, der meint, dass wir in kurzer Zeit durch das Erdbevölkerungswachstum nicht genug zu essen haben werden. Die Lösung sind nicht die Grossen, die auf viel Fläche proportional wenig anbauen können, sondern jeder einzelne kleine Garten mit eigenem Anbau. Je kleiner, desto mehr Nahrung pro Quadratmeter. Ausserdem gehen uns Erdgas und - öl aus, so dass sich Dünger und Gifte nicht mehr auf der herkömmlichen Basis herstellen lassen. Neben der Tatsache, dass sie schädlich für uns sind, seien sie ausserdem nicht besonders effektiv, da man ständig mehr spritzen muss und die Pflanzen anfälliger würden. Biopflanzen seien vitaminreicher, robuster und gesünder und die Schädlinge befielen letztlich nur die Schwachen. Gift haben wir hier auch wirklich noch nicht angetroffen, dafür aber eine hart arbeitende Angestellte und Chris und Lea, zwei weitere deutsche Wwoofer. Geoff gesteht frei, dass sie ohne die Wwoofer nicht machen könnten, was sie hier machen. Nämlich anbauen und wohl auch gut verdienen. Ich hatte die Hoffnung, dass hier das Geldverdienen mit dem Netten zusammengeht. Aber da wurde ich ein bisschen enttäuscht. Wir werden hier klar als billige Arbeiter angesehen, die das über gebliebene oder billige Essen bekommen und nicht so richtig Teil der Familie werden. Leider gibt es keinen öffentlichen Verkehr und wir werden zwar mitgenommen, wenn Geoff und Bev unterwegs sind, aber man fährt uns nirgends hin.
Da Leo nun diesen Job für sich ergattert hat, haben sich die Pläne zerschlagen, in die Nähe Melbournes zu reisen, wo er in einem Restaurant in den Bergen hätte arbeiten können. Ich wäre mitgekommen und hätte mich dort um Arbeit bemühen können, wobei die Unterkunft frei wäre und er mir sogar anbot, mir etwas von seinem Lohn abzugeben, da er nicht ohne mich dorthin wollte. Nun war klar, dass er alleine aufbricht, da im Camp kein Job für mich war. Zu schade, wäre zwar abgelegen, aber sicher interessant und vor allem sehr gut bezahlt mit Schichtarbeit für zwei Wochen und einer Woche frei. So bin ich wieder einmal auf mich allein gestellt. Ich habe mich für alles beworben, was nur im Ansatz in Frage kam. Als Nanny, als eine Art Pflegerin oder Aufpasserin für einen Mann mit Parkinson, dessen Frau Alzheimer und einen eigenen Pfleger hat, aber auch als Putzfrau, Werker für alles, Küchenhilfe und Bedienung in Mt Tamborine. Ich rief sogar bei Babysittereltern an, die mich noch am gleichen Tag zurückriefen, da ihr Babysitter abgesprungen war. Da hatte ich richtig Glück. Schon am Vortag hatten Geoff und Bev ein Essen in der Kommune und ich einen Babysitterjob bei Bodybuilder Vaughn und der filmstarschönen Elizabeth. Die beiden haben zwei nette Söhne, Xavier und Zane. Ich wurde vorgewarnt, dass alles furchtbar schwierig sein könnte mit Essen, Fernsehen, Schlafen und Baden. Die beiden waren phantastisch, sehr nett, sehr ruhig und um halb acht schliefen sie auf der Couch ein. Leicht verdiente fünfzig Dollar. Als Vaughn nach Hause kam, plauderte man noch ein wenig und ich fand heraus, dass er in Philosophie promoviert hatte, was mich freilich fast umgehauen hat. Er gab mir seine Arbeit mit, auf zweihundert Seiten redet er über Kunstdefinitionen und welche Stellung Bodybuilding als Kunstform einnimmt. Das ist immerhin interessant...
Gestern ein ähnliches Szenario: grosse Warnung, ruhiges Kind, daher kaum Arbeit, ausreichend Internetzeit und sogar ein besseres sättigenderes Essen als bei meinen Wwoofers. Ich wurde angerufen und für heute zum Vorstellungsgespräch um vier geladen. Job: Putzfrau und Bedienung. Die gestrigen Babysittereltern meinten, sollte ich den Job kriegen, könnte ich bei ihnen wohnen und ein wenig wwoofen, was freilich ideal wäre.
Leo meinte kürzlich, er habe noch nie jemanden getroffen, der so wenig Geld ausgibt. Das finde ich amüsant, war doch nicht nur meine Eigenwahrnehmung bis dato eine ganz andere. Ich bin jedenfalls bereit, für meine Pläne zu arbeiten, da ist der Job nebensächlich, solange er etwas mehr Geld bedeutet. Ich möchte meine Reise mit vier Wochen Freiwilligenarbeit in einem Waisenhaus abschliessen. Da denke ich an Thailand oder Afrika, wobei das Land weniger entscheidend als die Tätigkeit ist. Leider ist Freiwilligenarbeit meist recht teuer. Man arbeitet und zahlt...
Nach Tasmanien sind wir eingeladen und ich würde zu gerne nach Melbourne fahren und sehen, wie der Süden der Ostküste ist. Ich sehe, wie ich alles unter einen Hut kriege, bevor ich Anfang 2010 wieder nach Regensburg komme.

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